Fliegende Autos, die ohne einen Piloten autonom ihre Kreise am Himmel ziehen und Menschen in Rekordzeit von A nach B befördern – das war bislang nur in Science-Fiction-Filmen möglich. Eingefleischte Cineasten werden sich daran erinnern, wie Marty McFly in „Zurück in die Zukunft II“ mit seinem DeLorean zum 21. Oktober 2015 reist und fliegende Autos als neuen Standard vorfindet. Was während der Dreharbeiten im Jahr 1989 noch eine irrwitzige Zukunftsidee war, ist heute fast schon Wirklichkeit. Zugegeben: 2015 ist längst vorbei und frühstens 2025 – so plant es beispielsweise das Bundesland NRW – werden erste Flugtaxis, die nicht unbedingt wie fliegende Autos aussehen, in deutschen Städten zu sehen sein. Die Branche boomt aber schon wie nie zuvor. Grund genug, den Markt und seine Hauptakteure genauer unter die Lupe zu nehmen.
Warum das Ganze?
Dass Zeit Geld ist, weiß dank Benjamin Franklin heutzutage jeder. Und dennoch verschenken wir täglich sehr viel davon unterwegs. Im Jahr 2020 wurden auf Fernstraßen in Deutschland mehr als 513.500 Staumeldungen registriert[1] – trotz des Corona-bedingt flüssigeren Verkehrs durch eingeschränkte Reisetätigkeiten. Und auch das Reisen per Zug ist keine Garantie für Pünktlichkeit. So verspäteten sich im März 2021 immerhin 18,9 % der Züge des Fern- und 4,4 % der Züge des Nahverkehrs.[2] Die Straßen und Schienen sind, insbesondere in Ballungsräumen, überfüllt, wodurch es immer wieder zu schwer vermeidbaren Staus und Wartezeiten kommen wird. Als logische Konsequenz bleiben nur die bessere Nutzung der existierenden und der Weiterausbau von neuen Verkehrsnetzen. Als Alternative könnte man aber auch den freien Platz am Himmel für den Nahverkehr nutzbar machen. Das wäre vielleicht sogar kostengünstiger für den Staat. Hierfür müssten keine großen neuen Infrastrukturen geschaffen werden und bestehende Flächen könnten teilweise genutzt werden.
Doch nicht nur der Wunsch nach mehr Komfort und Geschwindigkeit treibt Air Mobility-Entwicklungen an. Auch Themen wie Klimawandel und Umweltschutz gewinnen seit Jahren an Bedeutung. In 2019 war der Personenverkehr für fast 30 % der gesamten CO2-Emissionen der EU verantwortlich. Davon entfielen 72 % auf den Straßenverkehr.[3] Elektrisch angetriebene Luftfahrzeuge, die im Gegensatz zu Hubschraubern keine Emissionen verursachen, könnten hier einen entscheidenden Wandel hervorrufen. Berücksichtigt man darüber hinaus alle Kosten und Aufwendungen für den Bau, die Instandhaltung und Entsorgung von Schienen und Straßen, wird deutlich, dass Fliegen eine gute Alternative für grüne Mobilität darstellt. Und noch einen Vorteil verspricht das neue Transportmittel: es ist deutlich leiser als bisherige Vehikel. Für die 75 % der Deutschen, die sich vom Straßenverkehrslärm gestört fühlen,[4] würde das eine erhebliche Verbesserung der Lebensqualität bedeuten.
Auf den ersten Blick könnte man annehmen, dass ein Helikopterflug, abgesehen von verursachten Emissionen, alle oben genannten Kriterien erfüllt. Aber: Der Antrieb von Hubschraubern ist sehr aufwendig, zeitintensiv und teuer. Ein Helikopterflug ist mit höheren Risiken verbunden, denn wenn einer seiner Rotoren ausfällt, stürzt der Helikopter ab. Zudem sind bisherige Helikopter laut und wenig bequem. Das führt zu der Schlussfolgerung, dass ein völlig neues Vehikel unausweichlich ist. Und damit ist die Idee zum Flugtaxi spätestens besiegelt worden.
Wie funktioniert das?[5]
Damit keine lange Landebahn benötigt wird, starten und landen Flugtaxis senkrecht. Dafür benötigen sie einen speziellen Antrieb. Bisherige Prototypen werden in der Regel elektrisch angetrieben und sind mit mehreren Propellern ausgestattet, die sich meist horizontal auf der Oberseite des Flügels befinden. Da mehrere Propeller installiert sind, kann der Ausfall eines Rotors im Normalfall problemlos kompensiert werden, was das Fliegen verhältnismäßig sicher macht. Daneben existieren hybride Konzepte, bei denen zusätzlich zu einem Elektromotor auch ein konventioneller Motor verbaut ist, der beispielsweise mit Kerosin oder Bio-Diesel angetrieben wird. Zudem wird aktuell die Verwendung von Wasserstoff als Antriebsmittel erprobt. Dieser soll eine Brennstoffzelle im Inneren des Luftfahrzeugs antreiben, die wiederum den Motor mit Strom versorgt. Als Vorreiter kann hier Hylevio angesehen werden. Das Münchener Start-up entwickelt gerade den Prototyp für einen wasserstoffbasierten Starrflügler.
Die Reichweite von Flugtaxis ist noch geringer als die von konventionellen Flugzeugen und Helikoptern und unterscheidet sich zwischen den einzelnen, bislang durch deutsche Start-ups entwickelten Modellen mitunter sehr stark. So hat der „Volocopter“ beispielsweise eine Reichweite von 72 Kilometern, wobei die Gründer seit Kurzem versprechen, diese auf 100 Kilometer zu erweitern. Der „CityAirbus“ – ein Gemeinschaftsprojekt von Airbus Helicopters und Siemens – kann Kurzstrecken von 50 bis 60 Kilometern bedienen. Andere Start-ups planen dagegen in deutlich größeren Dimensionen: Die Flutr Ltd entwickelt Luftfahrzeuge mit einer Reichweite von bis zu 200 Kilometern und Hylevio will seinen Prototypen sogar für Strecken über 400 Kilometer ausrüsten. Einen deutlichen Reichweite-Boost planen zudem die Gründer des „Lilium Jets“. Denn obwohl dieser in seiner bisherigen Version bereits 150 Kilometer am Stück zurücklegen kann, will das Münchener Start-up über sich hinauswachsen und entwickelt darum aktuell ein größeres Modell mit einer Reichweite von bis zu 250 Kilometern. Zum Vergleich: Helikopter können Reichweiten von 600 bis 1.500 km bedienen und damit sogar problemlos übers Mittelmeer fliegen.
Natürlich bietet ein Lufttaxi neben einer geringeren Reichweite auch weniger Sitzplätze als traditionelle Flugzeuge, ist dahingehend aber durchaus mit einigen Modellen ziviler Helikopter vergleichbar. Im Durchschnitt können zwei bis vier Personen – von denen eine zumeist der Pilot ist – befördert werden. Auch hier will der „Lilium Jet“ mit seinem großen Bruder punkten: aus den bisherigen fünf Sitzplätz sollen sieben werden und damit fast doppelt so viele wie bei konkurrierenden Anbietern. Der große Lilium Jet hätte damit genauso viele Sitzplätze wie ein durchschnittlicher Helikopter.
Und wie schaut’s mit der Geschwindigkeit aus? Traditionelle Passagierflugzeuge erreichen Geschwindigkeiten von bis zu 1.000 km/h. Das sind Geschwindigkeiten, die von den neuen Lufttaxis natürlich nicht annähernd erreicht werden können. Mit Helikoptern, die durchschnittliche Geschwindigkeiten von 200 bis 300 km/h erreichen, können einige von ihnen jedoch mithalten. Dennoch sind die Unterschiede zwischen den Playern am Markt auch in diesem Bereich enorm. Während Modelle wie der Volocopter oder der CityAirbus Geschwindigkeiten von 100 bzw. 120 km/h erreichen, starten die Modelle von Flutr und Lilium mit 250 bzw. 280 km/h durch. Hylevio plant für seinen Prototypen sogar Geschwindigkeiten von bis zu 400 km/h, was eine völlig neue Dimension einläuten würde.
Zu guter Letzt entscheidet aber die Kundennachfrage darüber, was entwickelt wird. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie stieg die Nachfrage nach privater Mobility rapide an, aber bevor jetzt voreilig die Koffer gepackt werden, folgt ein kleiner Wermutstropfen: Nicht alle Anbieter planen einen Taxiflug für jedermann. Während die Lilium GmbH sich ganz klar als Dienstleister für Flugtaxi-Flüge auf Regionalstrecken definiert und diesen Service ab 2025 in vorerst zwei deutschen Städten anbieten will, widmet sich die Velocopter GmbH in Deutschland zunächst gemeinsamen Projekten mit dem ADAC, um die Notfallmedizin zu optimieren und Patienten sowie Notärzte schneller ans Ziel zu bringen. Weitere, auch kommerzielle Angebote schließt das Start-up aber nicht aus. Die Flutr Ltd bietet ein breiteres Spektrum an: Auf der einen Seite eine einfache, schnelle Punkt-zu-Punkt-Luftmobilität für jedermann und überall. Auf der anderen Seite aber auch Dienstleistungen wie Flugzeugwartung, Pilotenausbildung, Versicherung, Vermietung und Charter für Ambulanzflugzeuge, sowie spezielle Angebote für die Rettungs- und Schifffahrtsbranche. Einen anderen Zielmarkt hat die LIFT Air GmbH für sich entdeckt. Sie sieht sich mit ihren geplanten Fliegern nicht in Konkurrenz zu den City-Konzepten, sondern fokussiert sich auf Langstreckenflüge ab 100 Kilometern und auf die Nutzung der über 400 Verkehrs- und Sonderlandeplätze auf bestehenden Flächen.
Was kostet das?
Je nach Hersteller variieren die Kosten für den Kauf eines Flugtaxis, aber sie siedeln sich etwa in einem mittleren fünfstelligen Bereich an. Die Kosten für einen Flug werden im Schnitt auf 200 Euro pro Passagier und pro Stunde geschätzt.[6] Das macht den Verkehrsweg deutlich teurer als seine traditionellen Konkurrenten. Der mögliche Kundenkreis könnte sich in der Anfangsphase darum im Wesentlichen auf Geschäftsreisende beschränken. Wahrscheinlich ist auch, dass die Luftfahrzeuge ihre maximalen Reichweiten nicht voll ausschöpfen werden – bei einer angenommenen Geschwindigkeit von um die 120 km/h würde eine Flugstrecke von 120 Kilometern, die demnach eine Stunde dauert, immerhin 200 Euro kosten. Das entspricht in etwa der Entfernung zwischen Dresden und Leipzig, die per Zug nur etwa 30 Euro kostet und ebenfalls eine Stunde dauert.
Die Hoffnung, selbst in den Genuss des neuen Transportmittels zu kommen, dürfen Otto Normalverbraucher aber dennoch haben: Die Lilium GmbH z. B. stellt ihren künftigen Kunden nämlich Kosten pro Flugkilometer in Aussicht, die nicht über denen eines irdischen Taxis liegen sollen. Damit wäre der Lilium Jet auch für Touristen in Metropolen interessant, die möglichst viele Sehenswürdigkeiten und Locations mit möglichst wenig Zeitverlust erreichen möchten. Denkbar wären weiterhin auch Konzepte, die dem Car2Go ähneln.
Wie sieht die Realität aus?
Langstrecken werden Flugtaxis in absehbarer Zeit aufgrund des hohen Energiebedarfs beim Fliegen vermutlich nicht bedienen. Je weiter die Flugstrecke, desto mehr Batteriekraft wird benötigt und das führt auch zu mehr Gewicht. Die Energieeffizienz geht hierbei verloren, da die zusätzliche Reichweite ab einem bestimmten Punkt abnimmt. Diesen Zusammenhang bezeichnet man in der Luftfahrt als „Gewichtsspirale“, die im Zusammenhang mit der spezifischen Energie (Energie pro Masse) steht. Bei längeren Flugstrecken muss demnach die Batterie geladen und getauscht werden. Wenn die Batteriepreise, die fast 50 % der Betriebskosten eines Flugtaxis ausmachen, nicht sinken, können die Flugpreise nicht günstiger werden. Und: Je schwerer das Flugtaxi und je mehr Personen an Bord, desto höher der Energiebedarf. Die Kosten verteilen sich dann zwar auf mehr Passagiere, aber sie steigen auch gleichermaßen an. Eine Alternative dazu wäre, statt auf Batterietechnik auf andere Konzepte, wie z. B. Wasserstoff, zu setzen und damit auch Energiekosten einzusparen. Ein Konzept, das Hylevio für sich entdeckt hat.
Viele Konzepte scheitern zudem an ihrer Zulassung. Fragen zur Regulatorik der Branche sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abschließend geklärt. Insbesondere die Ausfallsicherheit und die Einhaltung von Regeln der EASA/FAA entscheiden aber über den zukünftigen Markt. Um hier wettbewerbsfähig zu bleiben, kann es hilfreich sein, sich ein Netzwerk mit beteiligten Zulassungsbehörden aufzubauen.
Das internationale Interesse zeigt aber, dass das Rennen um die Marktführerschaft für Air Mobility-Dienste einen sehr besonderen Wettbewerb entwickeln könnte. Die länderspezifische Regulatorik kann dabei als Beschleuniger, aber auch als Bremse für die Marktteilnehmer wirken. Je eher ein Land die Regulatorik der Branche festlegt, desto eher können Entwicklungen etabliert und verbreitet werden. Dubai rüstet hierfür seine Infrastruktur auf, um das Fliegen per Drohne massentauglich zu machen. So werden für die Drohnen spezielle Ports gebaut, die ähnlich der Haltestellen von Bus und Bahn funktionieren sollen und an denen die Nachladung der Batterien erfolgen kann. Für diese Ports können die Dächer von Parkhäusern oder Einkaufszentren genutzt werden. Auch Singapur hat schon vor längerer Zeit einen ersten Volocopter-Testflug genehmigt und in 2020 sogar verkündet, die Flugtaxidienste des deutschen Start-ups innerhalb der nächsten drei Jahre im gesamten Stadtstaat anzubieten. Auch der Lilium Jet breitet seine Flügel aus und soll künftig nicht nur in Bayern und Nordrhein-Westfalen, sondern auch in weiten Teilen Floridas eingesetzt werden.
Eine Zwischenlösung hierzulande könnten Korridore zwischen Städten oder ausgewählten Spots am Rand einer Stadt sein, vielleicht auch eine Verbindung zwischen zwei Flughäfen, die zunächst für den Frachtverkehr freigegeben werden. Diese Zwischenlösung könnte auch einen Vorteil für Deutschland im internationalen Vergleich bedeuten, da autonome Systeme auf den Korridoren erprobt und führende Avionicsysteme auf diese Weise entwickelt werden könnten.
Relevant für die Wettbewerbsfähigkeit ist auch die Bereitschaft von Investoren, ihr Geld in die Entwicklung der Flugtaxis zu stecken. Aufgrund der schwierigen Skalierbarkeit hält sich diese Bereitschaft bislang noch in Grenzen. Das macht es den Gründern oft schwer, ihre Ideen buchstäblich auf die Flugbahn zu bringen, da die Entwicklung von Prototypen durchaus mehrere Millionen verschlingen kann. Solche Barrieren können junge Unternehmer dazu verleiten, ihr Geschäftsmodell noch einmal zu hinterfragen und vielleicht nur einzelne Teile, wie Betriebssysteme, anstelle von ganzen Luftfahrzeugen zu entwickeln. Um schneller ans Ziel zu kommen und finanzielle Mittel zur Produktion und Zulassung des geplanten größeren Serienmodells zu generieren, hat die Lilium GmbH eine etwas unkonventionelle Transaktion durchgeführt. So machte das Unternehmen unlängst Schlagzeilen, als es über eine Fusion mit einer SPAC an die Börse ging.
Einige strategische Investoren wagten zwischen 2017 und 2020 dennoch einen Schritt aufs Spielfeld, unter ihnen Schwergewichte wie Daimler, Tencent und Intel aus den Branchen Automotive und Digital Industries. Überraschend scheint auf den ersten Blick, dass Daimler durch seine getätigten Investments in Volocopter einen Konkurrenten am Himmel fördert. Andererseits verstehen sich die meisten Auto-Original Equipment Manufacturers (OEMs) mittlerweile als Mobility-Anbieter und nicht mehr nur als reine Automobilhersteller, sodass sie den zukünftigen Air Mobility Markt aktiv mitgestalten wollen. Zudem besitzen Auto-OEMs bereits teilweise die von Lufttaxis benötigte Technologie, wie Software für autonomes Fahren, und erarbeiten mit den zuständigen Behörden bereits mögliche Richtlinien dafür. Dieses Wissen können und wollen sie nun auch in andere Märkte übertragen, um den Nutzen zu erweitern. Und last but not least: Wenn die Konkurrenz ohnehin in die Luft steigen wird, ist es besser, sich rechtzeitig ein Stück des Kuchens zu sichern. Warum investieren dann aber nicht alle Auto-OEMs in den Air Mobility-Markt? In erster Linie liegen die erfolgreiche wirtschaftliche und technologische Umsetzung bezüglich des autonomen Fliegens noch in weiter Ferne. Hinzu kommt, dass es bereits einige Player auf dem Markt gibt, so dass es höchstwahrscheinlich zu einer Konsolidierung kommen wird. Nicht alle bisher in der Entwicklung befindlichen Konzepte werden darüber hinaus überhaupt kommerziell realisierbar sein. Kurz gesagt: Die Unsicherheiten, die ein Investment zum heutigen Zeitpunkt in sich trägt, sind sehr hoch. Liquide Mittel in Zukunftsmusik zu investieren, die die Automobilhersteller aktuell selbst dringend für ihre eigene Transformation zur Batterie-Technologie benötigen, erscheint daher nicht für alle attraktiv genug.
Es bleibt spannend, wie die Realität der Air Mobility in naher Zukunft konkret aussehen wird. Es bleibt außerdem abzuwarten, wie groß die Akzeptanz der Bürger sein wird, wenn private Flugtaxis über ihre Wohngebiete hinwegfliegen – selbst, wenn diese noch so leise sind.
[1] Statista
[2] Deutsche Bahn Konzernprofil, Pünktlichkeitswerte März 2021
[3] Europäische Umweltagentur, europarl.eu
[4] Umfrage „Umweltbewusstsein in Deutschland 2018“, Umweltbundesamt
[5] EY Analysis und Research
[6] EY Analysis, vgl. Angaben auf Homepages der jeweiligen Entwickler