02.06.2022 | News & Interviews

Startups, die durch den Magen gehen – Teil 5: Sustainability as Core

von Olivia Weindorf
Assurance
Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Im ersten Teil unserer Artikel-Reihe haben wir einen Überblick über das deutsche FoodTech-Ökosystem gegeben und die sieben größten Industrietrends vorgestellt (Startups, die durch den Magen gehen – Teil 1: Das deutsche FoodTech-Ökosystem). Teil 2, 3 und 4 wagten einen Deep Dive in die Trend-Segmente Next Generation Nutrition (Startups, die durch den Magen gehen – Teil 2: Next Generation Nutrition), AgTech & Vertical Farming (Startups, die durch den Magen gehen – Teil 3: AgTech & Vertical Farming) und Food Delivery (Startups, die durch den Magen gehen – Teil 4: Food Delivery). Teil 5 widmet sich einem Trend-Segment mit Zukunftsmission: Sustainability as Core.

Die Gütesiegel „Bio“, „Fairtrade“ und „regional“ sind deutschen Konsumenten heutzutage besonders wichtig – Das ergab die Food-Trend-Studie 2021[1] des Hamburger Marktforschers Quantilope. Das Engagement einer Marke in Sachen Nachhaltigkeit sei der Studie zufolge sogar für 54 % der Verbraucher in Deutschland relevant. Kein Wunder also, dass immer mehr Startups mit Key Words rund ums Thema Nachhaltigkeit für sich werben. Plastikfreie Verpackungen, vegane Lebensmittel, der Verzicht von schädlichen Inhaltsstoffen, Antibiotika und Pestiziden, Umweltbewusstsein: Lebensmittel sollen nicht nur schmecken, sondern auch die Welt retten. In erster Linie, um für Kunden und Investoren sexy zu sein – oder?

Nachhaltigkeit: Mehr als ein Nebenprodukt!

Nachhaltigkeit spielt in allen Bereichen der Lebensmittelindustrie eine Rolle. Insbesondere wenn es um Zusatzstoffe, Verpackungen, faire Arbeitsbedingungen oder den regionalen Anbau geht, finden viele Lebensmittelhersteller Anknüpfungspunkte für nachhaltigere Methoden. Startups, die sich „Sustainability as Core” auf die Fahnen geschrieben haben, wollen jedoch einen Schritt über diese „allgemeine Nachhaltigkeit“ hinausgehen und ihr Geschäftsmodell ganz konkret auf nachhaltige Lebensmittel ausrichten. Was das bedeutet, erklärt Christian Fenner im Interview mit EY. Vor fünf Jahren haben er und seine beiden Mitgründer das Leipziger Startup the nu company ins Leben gerufen. Obwohl das Hauptprodukt des Unternehmens ein veganer Schokoriegel in einer plastikfreien, heimkompostierbaren Verpackung ist, sehen sich die drei aber nicht in erster Linie als Schokoladenhersteller: „Wir sehen unsere Schokolade als Hebel für Veränderungen. Als eine Art trojanisches Pferd: Die Menschen kaufen den Riegel, weil sie Lust auf etwas Süßes haben, aber danach lesen sie die Verpackung, stoßen auf unsere Kampagnen und stellen fest, dass sie gerade einen Beitrag zum Umweltschutz geleistet haben. Das gibt ihnen ein gutes Gefühl und weckt den Wunsch, auch in anderen Lebensbereichen mehr Nachhaltigkeit anzustreben.“ Nachhaltigkeit ist für Food Startups des Segments Sustainability as Core also nicht nur ein Nebenprodukt, das verkaufsfördernd wirken soll, sondern der Kern-Purpose.

Der Markt und seine Player

Neben der nu company haben auch andere Startups die Hintertür zu mehr Nachhaltigkeit im Alltag in einem süßen Produkt gesehen: das Münchener Startup Mylkchocy verkauft vegane Schokolade, das dänische Startup True Gum setzt auf veganen, plastikfreien Kaugummi, das Berliner Startup Zveetz Sugar Reduction verführt mit zuckerfreien, pflanzlichen Desserts und die Snackhelden aus Duisburg wollen gesündere und umweltfreundlichere Snacks in unsere Küchenschränke zaubern.

Im Segment Sustainability as Core sind zudem auch Pflanzenmilchprodukte stark vertreten. Die Berliner Gründer von Blue Farm, das Freisinger Startup Pläin oder Yofix aus Israel identifizieren sich als nachhaltige Produzenten von Bio-Pflanzenmilch. Teilweise ergeben sich in diesem Food Segment Überschneidungen zum Segment “Next Generation Nutrition”.[2] Im Rahmen unserer Analyse zum deutschen FoodTech-Ökosystem[3] haben wir die in diesem Artikel erwähnten Startups jedoch aufgrund bestimmter Kriterien dem Segment “Sustainability as Core” zugeordnet.

Sustainability as Core umfasst aber nicht nur Lebensmittel an sich, sondern auch Startups, die organische Pestizide herstellen, Themen wie Abfallmanagement oder die Vermeidung von Food Waste. Dazu zählen beispielsweise Softwarelösungen für das Tracking von Mindesthaltbarkeitsdaten, die an eine Verteilung an Bedürftige gekoppelt sind. Oder die Verwertung von Abfällen: Das Startup GreenLab Berlin stellt aus Abfallprodukten der Lebensmittelindustrie – namentlich aus Schalen von Kakao, die andernfalls in enormen Mengen im Müll landen würden – biologischen Pflanzendünger her. Dabei verfolgt das Startup nicht nur das Ziel, durch das Upcycling der Kakaoschalen wichtige Nährstoffe wieder in den Boden einzubringen, sondern vor allem auch die Begrünung und Biodiversität in Städten zu fördern. GreenLab-Kunden werden darum in allen gärtnerischen Aktivitäten mit Informationen und nachhaltigen Produkten versorgt.

Eine Schnittstelle zwischen den Segmenten “Sustainability as Core” und “Food Delivery Services” bildet das Bochumer Startup Choosy. Unter dem Leitspruch “Dein Essen macht den Unterschied. Für dich und den Planeten” will Choosy die Themen Speiseplan und Wocheneinkauf vereinfachen und dadurch die Integration einer gesunden und nachhaltigen Ernährung in den Alltag unkompliziert machen. Für diesen Zweck haben die Gründer eine App entwickelt, die wöchentliche, auf den Nutzer individuell zugeschnittene Ernährungspläne erstellt und gleichzeitig eine dazu passende Einkaufsliste generiert, die per Klick wahlweise sogar zu einer Online-Bestellung der Lebensmittel führt.

Kunden und ihre Bedürfnisse

Um das Marktpotential besser einschätzen zu können, sollten Konsumenten zunächst in zwei Kategorien eingeteilt werden: Omnivore Esser und Alternativesser. Erstere sind diejenigen, die grundsätzlich alles essen, während Alternativesser beispielsweise Veganer, Vegetarier oder Pescetarier meint. Die Unterscheidung ist wichtig, weil die Kaufgründe für ein bestimmtes Lebensmittel in beiden Kategorien stark voneinander abweichen. So zeigen die Ergebnisse der Food-Trend-Studie 2021, dass 72 % der omnivoren Esser primär nach Geschmack entscheiden, während dieser nur für 34 % der Alternativesser relevant ist. Beim Thema Tierwohl ist das umgekehrt: Dieses steht für 64 % der Alternativesser im Fokus der Kaufentscheidung, aber nur für 8 % der omnivoren Esser.[4] Christian Fenner kann die Umfrageergebnisse aus eigener Erfahrung bestätigen: „Unsere ersten Kunden waren diejenigen, die uns gezielt in Biomärkten gesucht und gefunden haben. Das sind Menschen, denen Umweltbewusstsein und eine nachhaltige Ernährung grundsätzlich wichtig sind und die entsprechend nach Produkten, die diesem Bedürfnis gerecht werden, Ausschau halten.“ Seit es den nu-Riegel aber auch in herkömmlichen Supermärkten gibt, sei das anders: „Jetzt werden Kunden durch Neugier, beispielsweise aufgrund der bunten Verpackung, zum Erstkauf angeregt. Aber ein Wiederkauf erfolgt nur dann, wenn der Preis und vor allem der Geschmack stimmt.“ Überzeugungskäufer, so genannte „urbane Ökos“, machen nur einen Bruchteil der Konsumenten aus. Denn: Nur 3,7 % der Deutschen ernähren sich laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. vegetarisch oder vegan. 75,1 % der Deutschen bezeichnen sich dagegen sogar als „unbekümmerte Fleischesser“, weil ihnen die Herkunft des Essens oder nachhaltige Aspekte vergleichsweise egal sind.[5] „Nachhaltige Marken werden sich am Markt nicht durchsetzen können, wenn sie im Vergleich zu herkömmlichen Produkten geschmacklich beim Kunden nicht mithalten können“, schätzt Christian Fenner ein. Bereits am Markt etablierte Marken haben zudem den Vorteil, die Käufer bereits überzeugt zu haben. Da 48 %[6] der omnivoren Esser Gewohnheiten als Kaufkriterium ansetzen, kommt das Ausprobieren neuer Produkte entsprechend nur für die Hälfte der Deutschen in Frage. Berücksichtigt werden sollten auch aktuelle Preisentwicklungen. Wenn Lebensmittel und Lebenshaltungskosten insgesamt immer teurer werden, könnte das Spar-Bedürfnis der Konsumenten deutlich steigen. Ausgaben für nachhaltige, aber oftmals teurere Produkte würden in diesem Zusammenhang wahrscheinlich reduziert werden, wenn der Kauf nicht aus einer inneren Überzeugung heraus erfolgt.

Investoren setzen auf Nachhaltigkeit

Obwohl Nachhaltigkeit für den „Otto-Normal-Verbraucher“ (noch) nicht das entscheidende Kaufkriterium ist, ist Nachhaltigkeit, wenn es um das Finden von passenden Investoren geht, kein Hindernis. Im Gegenteil: Viele Investoren gestalten ihre Portfolios gezielt mit nachhaltigen Themen. Auf Investitionen in nachhaltige Ernährung hat sich beispielsweise die 2016 in Berlin gegründete Risikokapital-Gesellschaft Atlantic Food Labs spezialisiert. Deren selbst ernanntes Ziel ist es, bis 2050 zehn Milliarden Menschen nachhaltig und gesund zu ernähren.

„Den Investoren ist unser Engagement für Nachhaltigkeit sehr wichtig. Teilweise bestehen vertragliche Vereinbarungen darüber, dass wir unsere Ziele auch künftig beibehalten sollen, um unsere Integrität zu beweisen“, verrät Christian Fenner in Bezug auf die Investoren der nu company. Wachstum und das Erreichen entsprechender Kennzahlen sei aber auch für nachhaltige Investoren wesentlich. Denn: Nicht selten ist der Impact eines Startups an seine Umsätze gekoppelt, beispielsweise weil ein bestimmter Umsatzanteil für nachhaltige Projekte eingesetzt wird.

Ausblick

Insgesamt ist das Thema Nachhaltigkeit in den Köpfen der Gesellschaft angekommen. Das zeigen beispielsweise auch Initiativen wie Fridays for Future. Ein “Selbstläufer” bzw. Garant für wirtschaftlichen Erfolg ist Sustainability damit aber noch lange nicht.

Abhängig von den allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, könnte sich der Trend zu mehr Nachhaltigkeit zwar einerseits weiter verstärken, weil die Problem-Awareness durch fortgeführte öffentliche Aufklärung weiter gesteigert wird. Andererseits könnte sich die Bereitschaft der Konsumenten, Geld für teurere nachhaltige Produkte auszugeben, verringern, wenn die Lebenshaltungskosten insgesamt unverhältnismäßig steigen. Tendenziell könnte sich zudem der Anteil der Konsumenten, für die Nachhaltigkeit in Bezug auf Lebensmittel relevant ist, reduzieren: Nach den Erkenntnissen der Food-Trend-Studie 2021 legen insbesondere Millennials (also Menschen, die zwischen den frühen 1980er und den späten 1990er Jahren geboren worden sind), Wert auf Nachhaltigkeit im Kochtopf (63 %). Generation X (Geburtsjahr zwischen 1960 und 1980) folgt auf Platz 2 (54 %), während sich die Generation Z (geboren zwischen 1997 und 2012) und die Boomers (Geburtsjahr zwischen 1940 bis 1960) den dritten Platz teilen (jeweils 46 %). Die stark abnehmende Tendenz zwischen Millennials und der Generation Z könnte ein Hinweis darauf sein, dass künftige Generationen, die von der Generation Z großgezogen werden, ebenso weniger Wert auf Nachhaltigkeit in Bezug auf Lebensmittel legen, wenn die Problem Awareness nicht Gegenläufiges bewirkt.

 

 

[1] Lebensmittelstudie: Food Trends 2021 (quantilope.com)

[2] EY Startup - Startups, die durch den Magen gehen - Teil 2: Next Generation Nutrition

[3] EY Startup - Startups, die durch den Magen gehen - Teil 1: Das deutsche FoodTech-Ökosystem

[4] Lebensmittelstudie: Food Trends 2021 (quantilope.com)

[5] Flexitarier — die flexiblen Vegetarier - DGE

[6] Lebensmittelstudie: Food Trends 2021 (quantilope.com)

 

 

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