11.08.2021 | News & Interviews

Die Tokenisierung von Assets: Wie deutsche Startups die Tür zu einer neuen Art von Investitionen öffnen können

von Philipp Kielholz
Service Line: Financial Accounting Advisory Services (FAAS)
Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Institutionelle Investoren und private Anleger investieren bislang am Kapitalmarkt hauptsächlich in physische, mehr oder weniger liquide Eigen- und Fremdkapitaltitel wie Aktien und Schuldverschreibungen oder Fonds. Die Ineffizienzen durch den zweistufigen Prozess aus Handel und Nachhandel (Post-Trade-Processing) für Wertpapiere wurden bislang mangels effizienterer Alternativen am Markt hingenommen. Eine direkte Investition in illiquide Vermögens- und Sachwerte erfolgte bisher selten. Während Immobilienfonds am traditionellen Kapitalmarkt ein Vehikel für das Investment in illiquide Immobilien darstellen, ist eine direkte Investition in Kunst oder Luxusgüter vor dem Hintergrund des umständlichen Erwerbs, der aufwändigen Erhaltung und des Verkaufs oftmals – wenn überhaupt – nur für institutionelle Anleger mit einem langen Anlagehorizont interessant. Eine Investition in Immobilien geht bei der durschnittlichen Privatperson – wenn überhaupt – oftmals über das selbst bewohnte Eigenheim nicht hinaus. Hohe Mindesteinlagen und Verwaltungskosten oder lange Haltefristen machen ein Investment in Immobilienfonds häufig uninteressant.

Die Digitalisierung der heutigen Welt stoppt jedoch nicht vor den Kapitalmärkten. Die Distributed-Ledger-Technologie (DLT), vor allem als Blockchain-Technologie bekannt, versprach bereits vor mehr als zehn Jahren eine disruptive Innovation in zahlreichen Anwendungsfeldern, konnte ihr Potenzial jedoch bisher nicht vollumfänglich unter Beweis stellen. Dies könnte sich nun durch die Digitalisierung von Vermögenswerten, die auch als Tokenisierung bezeichnet wird, teilweise ändern. Die Tokenisierung von Assets auf Basis der DLT ermöglicht sowohl institutionellen Anlegern als auch Privatanlegern die Investition in bislang illiquide Vermögenswerte. Die Investition kann hierbei schon mit relativ kleinen Beträgen erfolgen. Das Anlageuniversum wird durch digitale, tokenisierte Vermögenswerte um neue Anlageklassen bereichert und bietet interessierten Anlegern die Partizipation an den entsprechenden Renditen.

Einige Startups in Deutschland haben bereits die aus der Tokenisierung resultierenden Möglichkeiten erkannt und setzen die zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten innerhalb der Wertschöpfungskette von tokenisierten Assets um. Hierbei haben deutsche Startups bereits spezifische Betätigungsfelder und Zielmärkte für sich definiert. Die gesamte Wertschöpfungskette kann in die Phase vor der Emission, der Emission selbst und die Phase nach der Emission der Token differenziert dargestellt werden (siehe Abbildung).

 

Funktion der Tokenisierung von Assets und beispielhafte Übersicht der aktiven Startups im Markt

Die Phase vor der Emission kann als Pre-Emissionsphase bezeichnet werden. Zu Beginn ist durch Vertragsgestaltung das Eigentum und die Verfügungsbefugnis über die physischen Vermögensgegenstände – die den späteren Token zugrunde liegen – eindeutig juristisch zu fixieren. Für die Emission von Eigen-oder Fremdkapitaltiteln, denen keine physischen Vermögensgegenstände zugrunde liegen, hat ebenfalls zu Beginn eine vertragliche Festhaltung der Emissionsbedingungen zu erfolgen. Token unterliegen je nach Ausgestaltung im Einzelfall der bestehenden Finanzmarktregulierung.[1] Plant der Emittent die Ausgabe von sogenannten „Security Token“ an Privatkunden, die als Wertpapiere im Sinne der Europäischen Finanzmarktrichtlinie (Richtlinie (EU) 2014/65 – MiFID II) zu qualifizieren sein können, so wäre im Rahmen der Pre-Emissionsphase auch die Erstellung eines Wertpapierprospekts nach der Prospektverordnung(Verordnung (EU) 2017/1129 – EU-ProspektVO) notwendig.[2] In diesen als „Security Token Offering“ (STO) bezeichneten Fällen müssen die erstellten Prospekte anschließend im Rahmen eines aufsichtsrechtlichen Genehmigungsprozesses von der deutschen Aufsichtsbehörde, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), geblligt werden. Emittenten von Token, die diesen Mehraufwand des Genehmigungsprozesses auf sich nehmen, bieten ihren Investoren nach Genehmigung der Token die gleichen Leistungen wie bei traditionellen Finanzmarktemissionen. Den ersten STO auf dem deutschen Markt hat Bitbond im Januar 2019 durchgeführt. Die tokenisierte Anleihe wurde offiziell von der BaFin zugelassenen. Die Startups Bloxxon und CPI Technologies GmbH beraten ihre Kunden bereits in dieser frühen ersten Phasen der Tokenisierung durch das vorhandene Netzwerk. Daliado übernimmt über eine Kooperation ausschließlich die Gestaltung der rechtlichen Verträge. Cashlink hingegen bietet insbesondere ein Angebot im Rahmen des aufsichtsrechtlichen Genehmigungsprozesses durch das eigene Netzwerk. Finexity besitzt ein internes Team für die Vertragsgestaltung. 360X agiert in der Vertragsgestaltung mit einem Tochterunternehmen, um die speziellen Erfordernisse der Tokenisierung von Immobilien und Kunst gerecht zu werden.

Zu Beginn der Emissionsphase erfolgt die technische Ausgabe und Abbildung der Token auf der gewählten Blockchain. Auf der Blockchain können die Eigentumsverhältnisse und Rechte an den zugrundeliegenden Vermögenswerten digital abgebildet werden. Als Tokenisierungsplattform wird am Markt meistens die Ethereum-Blockchain verwendet. Als technische Standards für die Smart Contracts der Security Token auf der Ethereum-Blockchain haben sich unter anderem der ERC-1400, ERC-1404 und ERC-1410[3] als vorteilhaft am Markt erwiesen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass diese die im Rahmen eines STO notwendige Identifizierung der Investoren ermöglichen. Die Verwendung anderer ERC-Standards bietet wiederum andere Funktionen und Einschränkungen.

Die Abbildung der Security Token auf der Blockchain wird neben den Startups Cashlink, Bitbond, Finexity und Bloxxon auch von der Tokenfabrik, Quorum Control und Daliado am Markt angeboten. Die Abbildung der Security Token erfolgt bei 360X über ein Tochterunternehmen. Nach der Ausgabe der Token haben Investoren die Möglichkeit in den Token zu investieren. Ob der Erwerberkreis zu diesem Zeitpunkt bereits feststeht oder die Token frei am Markt verfügbar sind, steht häufig in Abhängigkeit von der Projektart der Tokenisierung. Der Zugang für die Investoren ist stets mit einer Identifizierung der Investoren, dem sogenannten Know-Your-Customer (KYC-)Prozess, verbunden. Für das Onboarding der Investoren bieten die Startups Cashlink, micobo, Finoa, Bloxxon, CPI Technologies, Finexity und Daliado eine Lösung am Markt an

Nach der Identifizierung der Investoren können diese den Token gemäß den Investitionsbedingungen direkt vom Emittenten erwerben. Der hinterlegte Smart Contract teilt – wenn dies für den spezifischen Use Case vorgesehen ist – für die zuvor definierte Zahlungssumme eine entsprechende Anzahl der Token zu. Die Zahlung kann dabei aus der Sicht des Investors – individuell abhängig von den vertraglichen Vereinbarungen zwischen Emittenten und Investoren – entweder in Fiat-Geld oder auch direkt in den Coins einer Kryptowährung erfolgen. Die Zahlung in Fiat-Geldern erfordert vor der Ausgabe der Token den Umtausch in die Coins einer Kryptowährung, da die Smart-Contracts lediglich mit Coins erfüllt werden können. Die Ausgabe der Security Token wird von Finexity durch einen persönlichen Ansprechpartner begleitet. Die eigenständige Ausgabe der Security Token übernehmen auch Cashlink, micobo, Bloxxon und Daliado. Die anschließende Registerführung erfolgt automatisiert über die Infrastruktur der den Security Token zugrunde liegenden Smart Contracts. Die Registerführung wird insofern von sämtlichen Startups angeboten, die auch die Ausgabe übernehmen. Weiterhin jedoch von Bitbond und Finoa, welche als White-Lable-Lösung zwar nicht bei der Ausgabe in Erscheinung treten, jedoch die Registerführung als Dienstleister übernehmen. Die aufsichtsrechtlich relevante Verwahrung der kryptografischen Schlüssel, die für den Zugriff auf Token benötigt werden, die einer öffentlichen Adresse auf der Blockchain zugeordnet sind, ist von der Registerführung nach der Ausgabe zu differenzieren. Die Schlüssel können durch Kryptoverwahrdienstleister wie Tangany, Finoa, Bloxxon oder Finexity verwahrt werden. Finoa selbst rüstet sich für dieses Vorhaben und wurde bereits in zwei Finanzierungsrunden von vier Investoren mit einem Betrag über 20 Mio. Euro unterstützt.[4]

In der Phase nach der Emission ermöglichen die Token eine automatisierte Erfüllung der in den Smart Contracts hinterlegten Wenn-Dann-Logiken. Bei der Erfüllung der festgelegten Ereignisse kann es sich bspw. um die Zahlung von Zinsen oder in anderen Anwendungsfällen auch um die Zahlung per Nutzung handeln. In diesen auch als Pay-per-Use bezeichneten Fällen stellen die Smart Contracts dem Verwender jede Nutzung des tokenisierten Vermögenswertes mit einem festgelegten Betrag in Rechnung. In diesem Rahmen sind als Anbieter sowohl Bitbond, micobo, Finoa, Bloxxon und Finexity zu nennen. Den letzten Aspekt in der Wertschöpfungskette der Tokenisierung bildet der Handel der Token auf einem Sekundärmarkt.[5] Der Handel kann dabei z. B. wie bei Finexity über einen eigenen Marktplatz innerhalb der Community (reiner Peer-to-peer-/OTC-Handelsplatz), aber auch wie bei Cashlink mit einer Market-Making Komponente eines Partnerunternehmens erfolgen. Weitere Handelsplätze für Token bieten zudem Finoa, Bitbond und Daliado an. Das Angebot des deutschen Sekundärmarkts für Immobilien und Kunst wird von 360X ergänzt. Die Commerzbank und die Deutsche Börse investierten bereits in die Plattform.[6]

Für die Tokenisierung können verschiedene Anwendungsfälle definiert werden. Die Startups am Markt haben sich innerhalb der verschiedenen Use Cases spezialisiert. Security Token können zum Beispiel bei der Finanzierung und der Abrechnung einer industriell genutzten Maschine eingesetzt werden. Die Token bilden hierbei eine alternative für die Fremdkapitalfinanzierung. Die Investoren stehen bereits vor der Ausgestaltung der physischen Verträge fest. Nach der Schaffung der Security Token werden diese an die definierten Kapitalgeber ausgegeben und beim festgelegten Kryptoverwahrer verwaltet. Die von den Kapitalgebern finanzierte Maschine wird durch den Pay-per-Use Ansatz gemäß Vereinbarung direkt bei der Verwendung der Maschine abgerechnet. Vorteile bieten insbesondere die kostengünstige Finanzierungsstruktur, der breite Kreis potenzieller Investoren und die verbrauchsgerechte Abrechnung. Die Ausgabe von Security Token als Anleihe einer börsennotierten Gesellschaft beinhaltet die gesamte Wertschöpfungskette des Security Token Offerings. Zusätzlich zur rechtlichen Gestaltung der Verträge ist vorab die aufsichtsrechtliche Genehmigung eines Wertpapierprospekts durch die BaFin einzuholen. Nach dem Angebot der Security Token müssen die interessierten Investoren vor der Ausgabe gemäß den notwendigen KYC-Vorschriften identifiziert werden. Nach der Ausgabe werden die Investoren in das Register eingetragen und die für den Zugriff auf die Token erforderlichen privaten Schlüssel in der Wallet der Investoren verwahrt. Nach der Phase der Emission erfolgt die automatisierte Erfüllung der Zinszahlung über den hinterlegten Smart Contract. Ein Handel mit den Security Token ist über einen Sekundärmarkt möglich. Die Vorteilhaftigkeit liegt hierbei im Wesentlichen in den möglichen Kosteneinsparungen durch die günstige Verwahrung.

Ein weiterer Anwendungsfall von Security Token stellt die Tokenisierung der Finanzierung einer Immobilie dar. Vorweg ist jedoch zu erwähnen, dass hierbei die Tokenisierung der Immobilie selbst nicht möglich ist, da der Eigentümer in Deutschland noch stets im Grundbuch als physisches Register einzutragen ist. Die Tokenisierung bezieht sich insofern auf die Finanzierung der Immobilie. Die am Kapitalmarkt angebotene Immobilienfinanzierung ist – analog der zuvor beschriebenen am Kapitalmarkt emittierten Anleihe – vor der Emission der Token durch physische Verträge zu konkretisieren und durch eine aufsichtsrechtlichen Genehmigungsprozess für Privatanleger zugänglich zu machen. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Vorgaben für den Erwerb von Immobilien wird diese durch eine Gesellschaft erworben und gehalten. Die Finanzierung der Immobilie wird tokenisiert. Nach der Schaffung der Token können diese nach einer Identifizierung der Investoren an diese ausgegeben und verwahrt werden. Vor dem Hintergrund der am Ende der Laufzeit fälligen Zinsen ist in diesem Anwendungsfall kein automatisiertes Ereignis hinterlegt. Der Token kann entweder auf dem Zweitmarkt gehandelt oder am Ende der Laufzeit der Immobilienfinanzierung an den Herausgeber des Token zurückgegeben werden. Die auf diese Weise gestaltete Finanzierung einer Immobilie bietet einem breiten Investorenzugang zu den mit der Immobilie verbundenen Renditemöglichkeiten.

Die in den Anwendungsfällen beschriebene Wertschöpfungskette der Tokenisierung wird durch deutsche Startups bereits heute vollumfänglich abgedeckt. Die zukünftige Regulatorik kann hierbei die Weichen stellen, um diesen jungen Markt in Deutschland aufzubauen und für Investoren weiter interessant zu machen. Die Tokenisierung von Assets beinhaltet das Potenzial der Grundstein vielseitiger Neuerungen am Kapitalmarkt zu sein. Sie stellt ein spannendes Entwicklungsgebiet dar, das unbedingt weiter verfolgt werden sollte.

 

 

 

[1] BaFin Perspektiven – Ausgabe 01/2018 – ICOs und Kryptotoken: Risiken und aufsichtsrechtliche Einordnung, S. 55.

[2] BaFin Merktblatt – Zweites Hinweisschreiben zu Prospekt- und Erlaubnispflichten im Zusammenhang mit der Ausgabe sogenannter Krypto-Token.

[3] ERC steht hierbei für Ethereum Request for Comment, die folgende Zahl für die zugewiesene Nummer.

[4] Crunchbase.

[5] Was ist ein Security Token? | https://www.btc-echo.de/academy/bibliothek/security-token/.

[6] https://www.deutsche-boerse.com/dbg-en/media/press-releases/Deutsche-B-rse-and-Commerzbank-jointly-invest-in-new-digital-marketplaces-of-the-future-2629326.

Ansprechpartner

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