08.09.2022 | News & Interviews

Das Geschäft mit dem Tod: Startups digitalisieren den Trauerprozess

von Olivia Weindorf
Assurance
Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Die ersten Wege nach dem Tod eines geliebten Menschen führen zum Bestatter und zur Trauerfeier. Bislang oblag das „Geschäft mit dem Tod“ im Wesentlichen auch eben jenen: den Bestattern, den Ausrichtern für Bestattungsfeiern inklusive Floristen und Todesanzeigen. Im Volksmund wird die Bestattung als “der letzte Weg” bezeichnet. Für den Verstorbenen mag das – rein physisch betrachtet – zwar gelten, aber für die Hinterbliebenen beginnt der Weg dort erst.

In 2021 sind in Deutschland nach einer Erhebung des statistischen Bundesamtes 1.016.797 Menschen verstorben.[1] Statistiken zufolge hinterlässt jeder Verstorbene im Schnitt drei bis fünf Trauernde. Zu Beginn noch durch Freunde und Familie begleitet, gehen die meisten Menschen den Weg der Trauer nach einer Weile ganz allein. Das Verständnis des Umfeldes endet, der Trauernde soll “endlich wieder funktionieren”. Dabei ist Trauer ein höchst individueller Prozess, der Unterstützung braucht. Diese findet sich beispielsweise im Rahmen ehrenamtlich organisierter Selbsthilfegruppen, über Angebote des Bundesverbandes Trauerbegleitung oder durch Trauerbegleiter in selbstständiger Praxis. Das Problem dabei: Nur wenige Menschen wissen von diesen Angeboten. Während Restaurants oder Partyservices gern unter Bekannten weiterempfohlen werden, hüllt sich ein düsterer Mantel des Schweigens um alles, was mit dem Tod zusammenhängt.

Einige deutsche Startups haben dieses Problem erkannt und wollen der Branche rund um den Tod ein neues Image verleihen. Und die Gesellschaft scheint bereit dafür: So findet beispielsweise seit 2019 jährlich am 8. August der Memento Tag statt, der unter dem Leitsatz “Der Tod betrifft uns alle” Aufmerksamkeit und Bewusstsein schaffen will. Auch Initiativen wie die Publikumsmessen Seelenfrieden oder Leben &Tod wollen die Themen Vergänglichkeit, Sterben, Tod und Trauer in der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion stärker verankern.

 

Startups denken Trauer neu

Seit zwei Jahren zeigt sich insgesamt ein Trend zur Trost-Suche im Netz. Dies könnte durch die Corona-Pandemie begünstigt worden sein, in deren Zusammenhang sich die Menschen voneinander entfernen und statt hautnaher Umarmungen auf digitale Lösungen umsteigen mussten. Unter anderem deshalb, weil viele analoge Vor-Ort-Angebote nicht auf Online umgestellt, sondern abgesagt wurden. Zudem besteht ein allgemeiner Digitalisierungswunsch in der Gesellschaft, der nun eben auch im Bereich Trauer Einzug hält. Insbesondere die Niedrigschwelligkeit des in-Kontakt-kommens treibt diesen Wunsch an. Im August 2022 erzielte das Stichwort „grief“ (Englisch für „Trauer“) 3,8 Milliarden Aufrufe auf der Social Media-Plattform TikTok, die eigens dafür sogar das Kunstwort “GriefTok” einführte. Im November 2021 war es dagegen noch weniger als die Hälfte.  

Grundsätzlich haben sich zwei Segmente innerhalb der Branche entwickelt: Death Tech und Grief Tech.  Unter Death Tech versteht man beispielsweise Online-Bestattungen, digitale Trauerfeiern, Online-Todesanzeigen und den digitalen Nachlass. Grief Tech widmet sich dagegen, wie der Name schon sagt, dem Trauerprozess. Dazu zählen Online-Gedenkseiten für Verstorbene, soziale Netzwerke zum Teilen von Erinnerungen an den Verstorbenen, Online-Trauergruppen, Online-Trauerseminare und Online-Trauerberatungen.

Das Hamburger Startup Emmora hat sich im Segment Death Tech auf Online-Bestattungen spezialisiert. Die Beisetzung selbst findet naturgemäß analog und im Kreis der Angehörigen statt, aber der gesamte Prozess von der Planung bis zur konkreten Gestaltung und Beauftragung der lokalen Dienstleister erfolgt digital. Nutzer der Plattform können dabei nicht nur die Bestattung ihrer Angehörigen organisieren, sondern sogar ihre eigene Bestattung im Vorfeld planen. Auch Ab unter die Erde (After Life GmbH) plant Bestattungen als deutschlandweit tätiges Bestattungsunternehmen online. Dabei haben die Berliner Gründer*innen sich das Ziel gesetzt, alternative Bestattungen und besondere Beisetzungen mit einzigartigen Abschiedsfeiern zu organisieren, die individuell auf die Vorlieben, Hobbies und Leidenschaften des Verstorbenen zugeschnitten sind. Wer zu Lebzeiten ein waschechter Star Wars-Enthusiast war, kann also beispielsweise im Rahmen einer Motto-Feier Abschied nehmen, seine Urne im Vorfeld passend gestalten und eine Bestattung im Weltraum wählen. Mymoria aus Berlin bezeichnet sich selbst als ein modernes (Online-)Bestattungshaus, das den Umgang mit dem Tod verändern will. “Ein offenes Ohr ist wichtig, aber wir wollen mehr: Wir wollen den Tod heraus aus seiner dunklen Ecke, hinein in die Mitte der Gesellschaft holen. Wir wollen alle Fragen beantworten und ohne Scheu über den Tod sprechen”, lautet ein öffentliches Statement des Startups. Über den Tod sprechen will auch das Death Tech Wer du warst aus Köln. Es gilt als Deutschlands größtes Netzwerk für qualifizierte Trauerredner und Trauerrednerinnen. Die gehaltenen Trauerreden werden im Nachgang auf Wunsch sogar als Hörbuch vertont, um eine bleibende Erinnerung zu schaffen.

Im niedersächsischen Tostedt haben Jen und Hendrik Lind das Grief Tech TrostHelden gegründet. Der Kern des Startups ist es, onlinebasiert Trauerfreundschaften zu vermitteln, damit sich Trauernde gegenseitig finden und helfen können. Grundlage hierfür ist ein spezieller Algorithmus, der Trauernde mit einem ähnlichen Schicksalsschlag, einem ähnlichen Umgang mit der Trauer und ähnlichen Lebensumständen zusammenbringt. Dieser Ansatz ist bislang weltweit einzigartig. Hendrik Lind reflektiert im Interview mit EY: „Seit der Nachkriegszeit hat sich in Deutschland sehr wenig in Bezug auf neuartige Hilfen für Trauernde getan. Die unbefriedigten, elementaren Bedürfnisse der Trauernden sind immer noch dieselben und führen zur Vereinsamung – mit gravierenden Folgen für Individuum und Gesellschaft. In sozialen Medien wird nach dem Prinzip one-to-many kommuniziert. Was Trauernde jedoch benötigen, ist eine Kommunikation one-to-one, also jemanden, der die gleiche Trauersprache spricht. Hier fehlt es an digitalen Angeboten und wir wollen diese Lücke schließen.“

Nach dem Tod eines geliebten Menschen stehen Angehörige neben ihrer Trauer auch vor einer Vielzahl an bürokratischen Hürden, die bewältigt werden müssen. Um diese Aufgaben zu erleichtern, wurde in Malente (Schleswig-Holstein) die App „Beistand im Todesfall“ entwickelt. Hilfe beim Verwalten des digitalen Erbes (das heißt: Accounts bei Facebook, PayPal, Amazon, Netflix & Co.) auch ohne Zugangsdaten, eine “Todesfall To-Do-Liste" als kleiner Wegweiser, Vorlagen für die Kündigung von GEZ, Mietvertrag, Versicherungen und weitere Angebote werden von dem App-Service abgedeckt. Den Nachlass digital regeln möchte das Startup Memoresa aus Leipzig. Die Gründer entwickelten eine digitale Plattform und App, über die User ihre persönlichen Urkunden, Verträge und Unterlagen mit System ablegen und im Todesfall für die Angehörigen übersichtlich abrufbar machen können.

Auch Ninebarc aus Berlin und Beyond After Life Management aus Stuttgart haben einen solchen digitalen Tresor entwickelt, der Vorsorgedokumente sicher aufbewahrt und im Todesfall für Notfallkontakte zugänglich macht. Der Ninebarc-Co-Gründer Cedric A. Horstmann findet: „Die eigene Endlichkeit zu akzeptieren ist essentiell, um richtig vorzusorgen.“ Auf der Ninebarc-Platform werden Nutzer Schritt-für-Schritt bei der individuellen Vorsorgeplanung für den Krisenfall unterstützt. Leitfäden helfen bei der Erstellung von Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, dem Testament und weiteren Unterlagen. Diese Dokumente sowie Zugangsdaten für sämtliche Konten, Social-Media-Profile und das Aktiendepot können bei Ninebarc hinterlegt und verwaltet werden. So sind Angehörige im Notfall handlungsfähig.

Einen Online-Gedenkraum schafft Farvel aus Berlin. In diesem virtuellen 3D-Erinnerungsraum können sich Trauernde in einer speziell entwickelten Online-Zeremonie von einer geliebten Person verabschieden, Geschichten über den Verstorbenen teilen und Erinnerungen austauschen. “Unser Raum schafft die technische Grundlage für Trauerfeier, Beerdigung, Beisetzung, Leichenschmaus, Tröster sowie Kondolenzbekundungen und löst so das Problem der ortsgebundenen Abschiednahme”, erläutert das Startup auf seiner Website.

 

Investoren aufgepasst: Darum lohnt sich das Geschäft mit dem Tod

Der Death Tech-Markt beziffert sich gemäß des US-amerikanischen Global Industry Analyst weltweit auf rund 128,8 Milliarden Euro. Bei derartigen Größenordnungen werden Investoren für gewöhnlich hellhörig. Dennoch halten sich insbesondere VC-Investitionen in diesem Bereich noch stark zurück. Startups, die nicht das Potential haben, binnen kürzester Zeit zu Unicorns aufzublühen, werden von Wagniskapitalgebern eher mit Vorsicht genossen. Da die Digitalisierung von Trauer und Tod noch nicht das öffentliche Image besitzt, das einen derartigen Aufstieg in kürzester Zeit ermöglichen würde, fallen Death Techs und Grief Techs aus dem Radar der VC-Investoren. Dies führt dazu, dass es sich bei diesem Markt um die größte, von Digitalisierung und Innovationen fast noch unberührte Konsumentenindustrie handelt, die derzeit existiert.

Das Startup Emmora hat darum einen Strategiewechsel beschlossen, der ihnen bis Anfang 2022 eine niedrige siebenstellige Investitionssumme eingebracht hat: Statt VCs anzusprechen, konzentrierten sich die Gründerinnen auf Business Angels und Family Offices. Besonders interessant ist, dass sich auffällig viele Marketing- und Branding-Fachleute unter den beteiligten Investoren finden. Emmora vermutet, dass diese eine besondere Herausforderung im Bewerben eines Death Techs gesehen haben. Aus diesem Insight könnten sich Chancen für andere Startups der Branche ergeben.

Im Segment Grief Tech sieht die Zurückhaltung der Wagniskapitalgeber nach Aussage von Hendrik Lind ähnlich aus. Aktuell suchen die TrostHelden einen Investor für einen Markteintritt in die USA, da die Aufgeschlossenheit gegenüber digitalen Innovationen dort, ähnlich wie in den Niederlanden, deutlich höher sei als hierzulande.

 

Ausblick: Die Trauer von Morgen

In fünf Jahren werden Death Tech und Grief Tech nach Einschätzung von Hendrik Lind zusammengefasst sein. Entsprechend könnte die gesamte Bandbreite von der Online-Bestattungsplanung über Kontaktvermittlungen zu Palliativ- und Hospizeinrichtungen bis zur Hilfe für Trauernde in Form von Therapeuten oder Trauerbegleitung durch ein einziges, ganzheitliches Unternehmen abgebildet werden. Auch Shops für Kondolenzgeschenke, Bestattungsbedarf, Grabschmuck und ähnliches werden sich in einem solchen Unternehmen bündeln.

Eine Weiterentwicklung der Branche könnte daraus erwachsen, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) anhaltende Trauerstörungen in 2022 als Krankheit anerkannt hat. Würden Trauerbewältigungsmaßnahmen eines Tages durch Krankenkassen getragen werden, könnte infolgedessen eine Vielzahl von neuen Versorgungs-Innovationen für Trauernde, auch im digitalen Bereich, entstehen. Derartige Entwicklungen sind gegenwärtig aber noch nicht absehbar.

Fakt ist: Unverarbeitete Trauer kann zu vermehrten Fehltagen am Arbeitsplatz und/oder Folgeerkrankungen wie Depressionen führen. Heilsame Trauerarbeit wird künftig auch am Arbeitsplatz eine immer stärkere Bedeutung erlangen, sodass auf Unternehmen und Mitarbeiter zugeschnittene Angebote vermehrt entstehen könnten. Auch wir bei EY haben erkannt, dass Trauer vor Unternehmenstüren nicht Halt macht und wir als Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht haben. Wir bieten unseren Mitarbeitenden deshalb eine interne Krisen- und Trauerbegleitung an. Andere Unternehmen haben vergleichbare Strukturen vielleicht nicht implementiert – an dieser Stelle könnten sich Startups mit externen Angeboten einklinken.

 

 

 

[1] Sterbefälle - Fallzahlen nach Tagen, Wochen, Monaten, Altersgruppen, Geschlecht und Bundesländern für Deutschland 2016 - 2022 - Statistisches Bundesamt (destatis.de)

Ansprechpartner

von Olivia Weindorf
Assurance
Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft